Pascal Bärtschi, 48, hat klare Vorstellungen von der Zukunft. Und eine Vision, wie Losinger Marazzi nicht nur Teil dieser Zukunft ist, sondern sich als Treiber einer gesellschaftlichen Entwicklung positioniert. Ein Gespräch.
Anfang 2016 haben Sie drei klare strategische Schwerpunkte für Losinger Marazzi definiert: Stadterneuerung, Smart Cities und Gesamtangebot. Warum gerade diese drei?
In den letzten 20 Jahren haben wir einen langen Weg zurückgelegt. Vom Bauunternehmen haben wir uns zunächst zum Generalunternehmen entwickelt, dann zum Totalunternehmen – und jetzt zum Immobilien und Arealentwickler. Dabei haben wir uns gefragt: Welche Rahmenbedingungen werden unsere Arbeit in Zukunft bewegen und prägen? Was sind die nächsten Schritte? Diese Überlegungen haben uns zu den drei genannten Schwerpunkten geführt.
Was bedeuten die Schwerpunkte für Losinger Marazzi?
Den Schwerpunkt Stadterneuerung haben wir aus drei Gründen gewählt: Zum einen, da sich die Schweiz entschieden hat, unbebaute Flächen zu schützen und so das Gleichgewicht mit bebauten Flächen zu bewahren. Zum anderen fordert das Energiegesetz den Bau effizienter Gebäude. Und schliesslich sind wir der Ansicht, dass der Immobilienpark langsam veraltet. Es wird zu wenig saniert. Mit der Stadterneuerung konzentrieren wir uns deshalb auf bebaute Areale, die am Ende eines Zyklus sind und daher Potenzial haben.
Der Schwerpunkt Smart Cities steht für die Weiterentwicklung unserer Arbeit als Immobilien- und Arealentwickler. Ein Quartier ist nicht nur ein Patchwork von Gebäuden. Es ist ein lebendiges, pulsierendes Areal. Deshalb ist es notwendig, es als Gesamtes zu betrachten und die Bedürfnisse der Nutzer zu analysieren. Eine Smart City ist keine Insel. Sie ist ein neues Areal, das sich in die bestehende Stadt integrieren soll. Sie muss durchlässig sein, lebendig und autonom in ihrer Energieversorgung. Auch Behörden sollten sie deshalb nicht als Einzelprojekt betrachten, sondern als Teil eines Ganzen – mit den nötigen Schnittstellen für den Austausch zwischen den verschiedenen Stakeholdern.
Der dritte Schwerpunkt ist das Gesamtangebot. Dieser ist Ausdruck unserer Überzeugung, dass wir den ganzen Lebenszyklus einer Immobilie berücksichtigen müssen. Es bedarf eines Modells, das vom Bau bis zum Rückbau alle Kosten betrachtet. Hier sehen wir noch Potenzial.
Losinger Marazzi ist in diesem Sinne auch Treiber einer gesellschaftlichen Entwicklung?
Die Endnutzer unserer Arbeit sind steuerzahlende Einwohner. Ihre Ziele und Bedürfnisse müssen wir zusammen mit der Stadt aufnehmen: Welche Zielgruppen interessieren sich für das jeweilige Areal? Welche Art von Wohnungen benötigen diese Personen? Wie gross sollen die Wohnungen sein, wie hoch darf der Mietzins ausfallen? All dies müssen wir mit den Behörden diskutieren – und das, obwohl sie sich selten als Investor positionieren. Je besser wir uns mit allen Beteiligten von Anfang an verständigen, desto besser ist das Ergebnis. Wenn wir diese Fragen nicht klären, kann es zu Schwierigkeiten mit dem Investor kommen. Deshalb haben wir uns entschieden, von einer B-to-B- zu einer B-to-B-to-C-Kultur zu wechseln. Zu einer Kultur, die nicht nur die Bedürfnisse des Auftraggebers sieht, sondern auch die Bedürfnisse des Endverbrauchers erkennt.
Gibt es Reibungspunkte, wenn Investoren ihre eigenen Vorstellungen durchsetzen wollen?
Eine höhere Miete bedeutet nicht unbedingt eine höhere Rendite. Höhere Mieten erhöhen auch das Risiko, dass die Wohnungen leer stehen. In der Entwicklung des Quartiers muss man daher Transparenz und Austausch mit den Investoren pflegen. Es macht keinen Sinn, ein Quartier zu entwickeln, in dem alle Investoren genau das gleiche Produkt wollen. Jede Situation ist anders. Wir haben mehrere Areale entwickelt und jedes Mal dazugelernt. So sind wir flexibler und kreativer geworden. Wir dürfen kein Kochbuch anwenden – wir haben Kochen lernen müssen. Die Zutaten sind aber jedes Mal andere und manchmal auch überraschend. Wenn wir mit starren Rezepten kommen, können wir den gewünschten Mehrwert nicht mehr leisten. Wir müssen immer wieder Pionierarbeit leisten.
Bedeutet Pionierarbeit auch, zu jedem Zeitpunkt alles zu hinterfragen?
Es ist zeitgemäss, disruptiv zu denken. Solange es uns gelingt, unsere Führungsposition zu halten, müssen wir nicht alles grundlegend infrage stellen. Aber wer weiss, ob dies auch in Zukunft genügt, um Rendite für unsere Investoren zu erwirtschaften. Wir müssen deshalb unserer Zeit voraus sein. Was mich beeindruckt, sind Ideen wie das Fleet-Solution-Modell von Michelin. Statt Reifen zu verkaufen, hat Michelin mit grossen Unternehmen Mobilitätsverträge abgeschlossen. Sie verkaufen keine Reifen mehr, sondern gewährleisten gefahrene Kilometer. Vorher war das Ziel, so viel wie möglich zu verkaufen. Jetzt ist das Ziel, so wenig als möglich zu verbrauchen. Ich weiss nicht, ob man so ein Modell auch in unserer Branche umsetzen kann. Aber das sind Dinge, die mich faszinieren.
Wie wollen Sie die Städte verändern?
Wir wollen der Gesellschaft nicht erklären, was sie braucht. Wir wollen ihren Wandel begleiten, die Stadtentwicklung mit den richtigen Vorschlägen voranbringen. Die Bedürfnisse müssen wir mit der Gesellschaft, mit der Politik, mit den Behörden identifizieren. Stadterneuerung und das Thema Smart Cities bedeuten eine enge Zusammenarbeit mit ebendiesen Partnern. Hier müssen wir den Dialog mittels partizipativer Vorgehensweisen wie beispielsweise Workshops fördern. Das ist unsere Rolle.
Nehmen wir das Beispiel Greencity. Was zeichnet Projekte wie Greencity besonders aus?
Greencity ist ein sehr komplexes Beispiel. Es ist das erste Areal, das schon in der Planungsphase nach den Kriterien der 2000-Watt-Gesellschaft zertifiziert worden ist. Wir haben von Beginn weg eng mit der Stadt Zürich zusammengearbeitet, um die Nutzung dieses privaten Grundstücks bestmöglich zu definieren. Auch der Mix aus institutionellen Investoren, Genossenschaften, Stockwerkeigentümern, Gewerbeflächen, einem Hotel sowie einer Schule ist sehr interessant.
Es ist aber auch ein Projekt, das gewisse Grenzen unseres Systems aufzeigt. Den Behörden war es wichtig, dass zuerst alles geplant wurde. Erst nachdem die Pläne begutachtet und genehmigt worden waren, konnten wir mit dem Bau beginnen. Einige Lösungen kann man jedoch erst dann entwickeln, wenn man mehr über das Projekt weiss. Im Fall Greencity bedeutete dies, dass wir etwa zehn Jahre lang mit der Planung verbracht haben, bevor wir mit dem Bau beginnen konnten. Wir müssen in Zusammenarbeit mit allen Beteiligten
Prozesse entwickeln, die es uns erlauben, früher zu starten. Prozesse, die gewährleisten, dass man nicht das letzte Detail gelöst haben muss, bevor man mit dem Bau beginnen kann.
Sie haben das Gesamtangebot als strategischen Schwerpunkt definiert. Können Sie sich vorstellen, Crossover- Partnerschaften zu initiieren?
Wir sind nicht in der Lage, sämtliche Dienstleistungen selbst anzubieten. Und wenn wir selbst alles anbieten würden, wären wir auf unser Know-how beschränkt. Deshalb suchen wir Partnerschaften mit Energieverteilern, mit Telekommunikationsfirmen und auch mit Softwarefirmen. Mit diesen Partnerschaften wollen wir das Leben in den Quartieren vereinfachen, den Austausch fördern und schliesslich die Energieefizienz steigern.
Alle sprechen von Smart Cities. Aber jeder stellt sich darunter etwas anderes vor. Beispielsweise hat man in Frankreich Stadtpräsidenten von Grossstädten gefragt, was die wichtigsten Eigenschaften von Smart Cities sind. Ihrer Ansicht nach sollten sie das Zusammenleben im Quartier und die Mobilität fördern. Zwei Dinge, die wir beeinflussen, aber nicht selbst anbieten können und für die wir Partnerschaften eingehen, um die gesellschaftlichen Erwartungen und Bedürfnisse zu befriedigen. Ich glaube nicht, dass ein Stadtpräsident bereit wäre, ein fertiges Quartier zu kaufen und ans Netz anzuschliessen. Er benötigt eine Lösung oder Vorschläge, die sich in vorhandene Strukturen einfügen.
Um die spezifischen Anfordernungen eines Areals oder eines Projektes brücksichtigen zu können und die bestmöglichen Lösungen zu finden, sollten diese Kooperationen immer projektbezogen und auf individuelle Bedürfnisse abgestimmt sein.
Die Gestaltung von Lebensräumen ist eng mit dem Thema Nachhaltigkeit verknüpft. Wie ermitteln Sie die Bedürfnisse der Kunden von morgen?
Wir müssen Lösungen finden, damit die durchschnittliche Miet- oder Wohnfläche pro Einwohner nicht wieder um zehn Prozent steigt, wie das in den letzten 10 bis 15 Jahren passiert ist. Als Bau- oder als Immobilienunternehmen haben wir kurzfristig kein Interesse, weniger zu bauen. Im Hinblick auf die nachhaltige Entwicklung jedoch schon. Wir müssen also alternative Lösungen finden, die Räumlichkeiten für eine bestimmte Zeit und für eine bestimmte Nutzung zur Verfügung zu stellen. Das ist ein grundlegender Perspektivenwechsel. Dann ist das Modell von Michelin auch plötzlich greifbar nah. Nachhaltigkeit ist nicht nur das Bauen mit guten Werkstoffen. Es geht auch darum, tragfähige Konzepte zu entwickeln, dichter zu bauen und flexibel zu bleiben. Das ist nachhaltiger, als Flächen zu bebauen, die nicht genutzt werden.
Was wünschen Sie sich persönlich für die Zukunft?
Es ist mir wichtig, dass ich neben dem Wandel der Branche auch unseren damit einhergehenden internen Wandel bestmöglich begleiten kann. Damit wir die Chancen, die sich uns bieten, optimal nutzen können. Denn abgesehen vom wirtschaftlichen Erfolg des Unternehmens und einer strategisch guten Positionierung am Markt ist es auch mein Ziel, dass unsere Mitarbeiter Freude haben an dem, was sie machen. Denn das bedeutet, dass alles andere recht gut gelungen ist.